Geburtsbericht

von Rhiannon Margolis, zum Zeitpunkt des Berichtes Hebammenschülerin

 

Vater: „ Ich freu mich so sehr für dich“

Mutter: „Was? Das es vorbei ist?“

Vater: „Nein. Das es so schön war“

Mutter: „Ja…Das war so schön…“

 

Das Kind war da und alle hatten Tränen in den Augen. Am Meisten der Vater, der keine Fotos machen konnte da seiner Augen noch so nass waren.

Die Mutter lehnte sich an den Rand des Gebärpools. Das Kind, das noch mit der pulsierenden Nabelschnur verbunden war, lag an der Brust seiner Mutter. Sie atmeten aus und es war still. Die Kerzen leuchteten und ein kleines elektrisches Licht brannte in der Ferne. Alle hatten das Gefühl etwas erfolgreiches geschafft zu haben. Geschafft, nicht weil die Mutter geschafft war, sondern weil sie es geschafft hat, so selbstbestimmt in ihrem eigenen Raum und ihrere eigenen Zeit, mit Ihr Kind zusammen, zu gebären. Geschafft, nicht weil der Vater von den Stunden der Hilflosigkeit, Angst und Überforderung umschlungen war, sondern weil er seine Frau in ihrer Kraft unterstützt hat und ihr beistehen konnte bei der Begrüßung des neuen Familienmitgliedes. Erfolgreiches geschafft, nicht weil die Hebamme Karin viel gemacht und geschafft hat, sondern das Machen und Schaffen den werdenden Eltern überließ. Und für mich war das Wesentliche, dass ich gesehen habe wie eine Hebamme die Familie bei der Geburt begleitet, unterstützt und das Gebären der Gebärenden überläßt. Die Hebamme hat die Frau nicht entbunden. Ich habe gesehen, dass schöne, selbstbestimmte Geburten nicht nur im Land der Träume eine Existenz haben, so wie man es mir versucht hat einzureden, sondern alltäglich sein können und zur realen Welt gehören.

Es war 22:50 Uhr und mein Handy klingelte. Ich war im Bad, gerade fertig geduscht. Natürlich hatte ich mein Handy mit mir ins Bad genommen, so wie ich es IMMER überall mitgenommen habe. Es war die Hebamme Karin. Ich ging schnell ran, mein Herz raste. Ich spürte wie einen Schub Adrenalin durch meine Körper floss. Ich wusste was diese Anruf bedeutete. Darauf habe ich mehrere Wochen gewartet. Zuvor hatte ich zwei Anrufe bekommen, jedoch hatten die Kinder entschieden ohne Hebamme und mich zur Welt zu kommen. Diese Hausgeburt wäre mein erste im Externat.

 

Bernadett (40 SSW, zweites Kind) meldete sich mit alle 5 bis 7 min Wehen, sie war sich nicht sicher ob sie sich zu früh meldete. Ich sollte mich schnell fertig machen, aber das Haus erst dann verlassen wenn Karin mir einen SMS schickt das sie selbst unterwegs ist. Diese bekam ich um 23:10 und schon raste ich zur Geburt. Ich war nervös und voller Freude. Mein Fuß auf dem Gaspedal war schwer, obwohl ich mir vorgenommen hatte nicht zu schnell zu fahren, ich konnte einfach nicht anders. Ich war in eine orangene Welle gefangen. Jede vereinzelte rote Ampel war gefühlt eine halbe Stunde Rot. Es kribbelte in meine Körper, ich wollte schnell Grün sehen, ich kratzte ungeduldig am Lenkrad. Diese Geburt wollte ich nicht auch verpassen.

Nun, um 23:25 war ich vor der Haustür und sah, dass Karin zum gleichen Zeitpunkt auch angekommen war. Ich ging schnell zur Ihr und übernahm den Großen schweren Geburtskoffer. Schnell huschten wir durchs Gartentor und gingen durch die bereits geöffnete Wohnungstür rein.

Ich musste erst mal die Atmosphäre aufnehmen. Bernadett saß in der tiefen Hocke mit gespreizten Beinen, und hing nach vorne über den Rand des Gebärpools. Sie war ruhig, bei sich, aber noch nicht im Gebär-Trance. Sie freute sich als wir durch die Tür kamen und begrüßte uns. Ihr Mann Sven umarmte uns und bat uns Tee an. Er war nervös und froh in seine eigenen vier Wände zu sein wo er sich wohlfühlt. Seine Vorfreude auf die Geburt konnte ich im Raum spüren. Das Wohnzimmer war mit Kerzenlicht beleuchtet. Ein Weihnachtstern schien am Fenster hinter leicht durchsichtige Gardinen und in der offenen Küche brannte ein kleines Licht und die Adventskranzkerze. Noch war es der 5. Dezember, (in meinen Kopf: „♪bald ist Nikolaus Abend da♬“).

Ich setzte mich mit Karin an den Küchentisch. Das Wasser im Kessel kochte, und auf dem Herd stand ein große Topf mit Wasser für den Gebärpool. Karin packte ihre Unterlagen aus und sortierte die Papiere. Sie fing an die Uhrzeit unsere Ankunft zu Dokumentieren und nebenbei haben wir uns unterhalten.

Bernadett wehte vor sich hin. In den Wehen konzentrierte sie sich, war vollkommen in sich gekehrt. Sie fragte, ob Karin sie Untersuchen könnte, denn alles war so anders als bei ihre erste Geburt und sie konnte den Geburtsverlauf nicht einschätzen. Ihre erste Tochter ist in einer Klinik vor 4 Jahre zur Welt gekommen. Die Herztöne waren nicht gut, die Eltern wurden in keinster Weise aufgeklärt über die Handlungen und so verstanden sie die Vorgänge nicht. Nach schmerzhafte Kristellern, viele Rumschreierei und Vakuumextraktion war das Kind da.

 

Und dann, direkt nach der Geburt, von die Hebamme zur Erstversorgungseinheit in den Reanimationsraum gebracht worden ohne die Eltern mit ein zu beziehen.

Karin untersuchte Bernadett auf dem Sofa: MM (Muttermund) 5 cm,butterweich, VT=Kopf im BE (Beckeneingang), FB (Fruchtblase) tastbar. Dem Kind ging es gut. Dopton: BL 135 spm. Es war sehr ruhig und still. Im Hintergrund lief kein Dauer CTG (Herzton-Wehenschreiber, den muss eine Hebamme zu Hause nicht anwenden, da sie eine 1:1 Betreuung gewährleistet) es gab kein wechselndes Personal. Das nicht vorhandende ständige Rein und Raus (wie oft im Kreißsaal) hat die Gebärende in Ihre Konzentration nicht unterbrochen. Wir waren alle da und so würde es bleiben bis zum Ende der Geburt. Die bald große Schwester werdende war nebenan im Zimmer und schlief tief und fest.

Die Wehen wurden zunehmend Intensiver. Bernadett ist zwischendurch vom Gebärpool zur Toilette und zurück gewandert. Dieses aus und wieder einsteigen in den Pool brachte schöne Bewegung in das Becken und der Druck wurde immer stärker. Sie bewegte sich wie sie meinte und veratmete die Wehen, tönte zunehmend lauter. Sie konzentrierte sich immer mehr, und kam in die Gebärtrance. Sie war ganz bei sich, in ihrer Stärke und ich sah die Kompetenz in ihr, die Kraft und die Sinnlichkeit die sie begleitete. Ich war mit Karin ganz im Hintergrund, beobachtend und mit großen Ohren lauschend. Diese Haltung war mir ganz unbekannt von dem Kreißsaalalltag. Die Frau war nicht von uns abhängig. Wir mussten nicht handeln und machen, wir mussten uns nicht gebraucht fühlen, unser Ego stand nicht im Vordergrund.

Bernadett hatte wieder das Bedürfnis zur Toilette zu gehen. Das Badezimmer war neben der Küche, wo wir saßen. Ich konnte hören, dass sie immer lauter tönte. Die Intensität war zunehmend. Sven war mit ihr im Bad und stand bei ihr als sie sich unter die heiße Dusche stellte. Da sind die Wehen so stark geworden, dass sie ihn fast mit runter gezogen hätte, erzählte sie im nachhinein. Sie sprühte Druck und schob leicht mit. Als sie wieder im Pool war untersuchte Karin sie zum zweiten Mal = MM Vollständig, VT Kopf im BM, FB tastbar. Karin gab den Takt nicht an. Die Herztöne vom Kind waren im ganzen Verlauf gut. Das Kind hatte Zeit und Zeit wurde ihm auch gegeben. Bernadett schob in ihrem eigene Rhythmus mit. Sie atmete immer schneller und ich sah, wie sie sich Richtung Hyperventilation bewegte. Ihr Mann saß in einer Hocke direkt vor der Wanne und hielt seine Frau fest. Sie war im abgestützte 4-füßlerstand mit gespreizten Beinen mit dem Gesäß fast am Boden. Im Kreißsaal hätte ich da mit Atemanleitung angesetzt. Doch ich habe mich zurück gehalten, beobachtete wie sie immer schneller atmete und wie Karin nichts sagte. Bernadett brauchte nur wenige Atemzüge, um sich selbst zu fangen. Aus ihrem eigene Können, in ihrer eigene Zeit, fand sie ihren Rhythmus wieder. Niemanden musste ihr sagen wie und was sie zu tun hatte, da sie selber ihren richtigen Weg fand.

 

Mit Gefühl schob sie immer weiter und schon stand der Kopf auf BB. Karin bremste ihn bei dem Austritt und mit der Kopfgeburt ist die Fruchtblase gesprungen. Mit der nächsten Wehe wurde das Kind ganz geboren, es war 00:36. Karin schob ihn, noch im Wasser, zwischen ihre Beine nach vorne. Im ersten Moment hatte Bernadette garnicht wahr genommen, dass das Kind schon ganz aus ihr herausgeschlüpft war. Ich konnte nur wie durch einen Schleier sehen wie er im Wasser schwamm. Das Kerzenlicht war nicht hell und deshalb das Wasser sehr dunkel. Einen Moment später half Karin ihr ihren Sohn aus dem Wasser zu nehmen.

Das Kind war da und alle hatten Tränen in den Augen. Am meisten der Vater, der keine Fotos machen konnte da seine Augen so nass waren. Die frisch gewordene zweifache Mama bat ihren Mann direkt Fotos zu machen, denn sie wollte diesen besondere Moment für immer festhalten. Der Vater konnte noch nicht glauben, dass sein Kind da war. Er versuchte Fotos zu machen, aber konnte nichts sehen. Er war total überwältigt. So schlüpfte ich in die Rolle eines Fotografen, bot meine Hilfe an, nahm sein Handy und fotografierte ihn, Bernadett und ihre Sohn.

Das Kind war fit, schrie kräftig, war rosig mit gutem Körpertonus.

Fünf Minuten nach der Geburt wurde die Schwester wach und kam in das Wohnzimmer gelaufen. Wir schauten gespannt, wie sie auf ihr Brüderchen reagieren würde. Sie kam kurz zum Sofa gelaufen, hat die Hebamme Karin angeschaut und lief dann direkt in die offenen Arme ihres Vaters. Er erzählte ihr, dass er so weint, weil er so glücklich ist, das der kleine Bruder geboren ist. Wir waren nicht so sicher wie wach sie war. Sie schenkte ihrer Mutter und dem Bruder keine Aufmerksamkeit und wollte zurück ins Bett getragen werden. So wie ich es wahr genommen habe, war das auch für den Vater gut, kurz Abstand zu nehmen. Er war so überwältigt von seinen Emotionen und brauchte einen Moment, um runter zu kommen.

Es wurde kein Stress um die Abnabelung gemacht. Ich habe warmes Wasser in den Gebärpool nachgeschüttet, und die Plazenta folgte spontan um 00:52 noch im Pool.

15 min. nach der Plazentageburt wollte Bernadett aus dem Pool raus. Karin nahm das Kind an, trocknete es ab und ich hob die Plazenta aus dem Pool raus und legte sie in eine Schüssel. Kind und Plazenta waren noch miteinander verbunden. Vater und Sohn kuschelten nun auf dem Sofa, die Plazenta in der Schüssel stand daneben. Ich half Bernadett aus dem Gebärpool zu steigen und sich abzutrocknen. Sie legte sich auf das Sofa für die Damminspektion - DR II°(Dammriss). Karin setzte ein Stirnlampe auf und nähte den Riß. Danach kam der kleine Kilian zurück auf die Brust von Bernadett. Nun wurde die Frage gestellt, ob sie das Kind abnabeln soll. Die Eltern hatten tatsächlich eine Wahl, ob früher oder später abgenabelt werden sollte.

Einer Lotusgeburt war nie ausgeschlossen. Die Endscheidung zum Abnabeln kam erst als die U1 fällig war. Karin band die Nabelschnur fest ab mit einem breiten Baumwollband und Sven schnitt die Nabelschnur durch. Es war ein gesundes reifgeborenes Baby 3710g, 49cm, mit 36cm Kopfumfang. Er trank gut an der Brust. Der Uterus war gut kontrahiert am Nabel, mit regelrechter Blutung.

Nun haben wir uns erneuert in die Küche zurückgezogen. Karin dokumentierte weiter, trug die Daten vom Kind im Kinderheft ein, füllte den Mutterpass, einen Arztbrief, ein postpartales Überwachungsprotokoll für die Mutter und die Geburtsbescheinigung aus.

Gegen 3:00 Uhr habe ich Bernadett zur Toilette begleitet. Sie hat zu dem Zeitpunkt gestillt und wollte dies nicht unterbrechen also stand sie auf, Kind noch an der Brust und ich begleitete sie zur Toilette. Karin erklärte Sven ein paar Überwachungskriterien für Mutter und Kind. Er sollte ein Überwachungsprotokoll, stündlich für die ersten 7 Lebensstunden des Kindes führen. Da wurden folgende Punkte beim Neugeborenen überwacht: Temperatur, Wach/schlaf Zustand, Ausscheidung, Nahrung, Hautkolorit-Rekapilarisierungszeit. Sven sollte auch, wenn er wach ist, zwischendurch unter die Decke schauen, ob die Blutungen OK sind: wenn seiner Frau eine flache Handbreite rechts und links neben den Oberschenkeln / Po durchgeblutet ist, sollte er sich schnell bei der Hebamme melden, da das zu viel Blut wäre. Auch ließ sie dem Paar noch einen Zettel da, der die häufigsten Fragen in den ersten 24 Stunden beantwortete.

Wir führten eine letzte Kontrolle der Gebärmutter durch, schauten nochmal nach dem Nabel, dem Hautkolorit, der Atmung und des Allgemeinzustandes des Kindes und überzeugten uns davon, dass die Vitalzeichen der Mutter in Ordnung waren und das es auch dem Vater gut ging.

Bevor wir uns verabschiedeten, sagte Bernadett, dass sie so stolz auf sich selbst sei, es so geschafft zu haben.

Mir ist bewusst geworden, wie sehr der Ablauf einer Geburt die Frau und das Kind in allen Hinsichten stärken oder schwächen kann. Ich bin davon überzeugt, dass selbstbestimmte Geburten (die von dem Kind mitbestimmt sind) eine positive Prägung hinterlassen mit einem nachhaltigem Nachklang. Ich will starke Kinder begrüßen. Ich will gestärkte Frauen nach der Geburt hinterlassen. Und deshalb will ich für meine Zukunft so eine Geburtshilfe betreiben und so eine Hebamme sein.